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Horst Seehofer: Aufstieg eines Jo-Jo-Mannes

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Nach seiner Nominierung für den CSU-Vorsitz soll der derzeitige Bundeslandwirtschaftsminister Horst Seehofer auch noch bayerischer Ministerpräsident werden. Mit ihm besetzt weniger ein Überzeugungstäter als ein gewiefter Pragmatiker Bayerns politische Spitzenämter.

Die ernste Miene, die Horst Seehofer neulich in der Pfarrkirche von Rott am Inn aufsetzte, dürfte nicht dem 20. Todestag von Franz Josef Strauß geschuldet gewesen sein. Dem designierten CSU-Vorsitzenden dämmert inzwischen wohl, dass es mit den fröhlichen Tagen als »Minister für Kraut und Zuckerrüben«, wie er einmal sein derzeitiges Amt nannte, bald vorbei ist – als er Möhren knabberte, Milchshakes verkostete und sich von den von ihm gehätschelten Bauernverbandsfunktionären feiern ließ. Nahe der Gruft des CSU- Übervaters dürfte das dem 59-Jährigen klar geworden sein. Denn die CSU verklärt nicht nur – wie jede Staatspartei mit Anspruch auf historische Mission und Unfehlbarkeit – die Amtszeit Strauß’, obwohl die wesentlich von Selbstherrlichkeit, Intrigantentum und Spez’l-Wirt- schaft gezeichnet war. Sie erwartet die Rückkehr zu alter Gloriole.
Horst Seehofer wollte zwar schon lange die CSU führen, aber nicht unbedingt auch der Münchener Staatskanzlei vorstehen. Der Ministerpräsident, soll er einmal gesagt haben, sei doch nicht viel mehr als ein besserer Landrat. Wenn er jetzt seine Meinung doch geändert hat, dann wohl deshalb, weil er die Machtmechanismen kennt – vor allem im süddeutschen Freistaat mit seinen regionalen, religiösen, landsmannschaftlichen, generationenbezogenen und sonstigen Biotopen, aus denen die seltsamsten Gewächse sprießen, sich mal verfilzen, mal ausrotten, stets jedoch nach oben drängen.
Da braucht es einen starken, im Zweifel autoritären Führer, der den Wildwuchs bändigt, aber damit die ganze Verantwortung übernimmt. Strauß hat das seinerzeit gekonnt, Stoiber nur im Aufstieg, nicht im Machterhalt; andere sind daran beizeiten gescheitert.

Ein Sozialpolitiker stutzt den Sozialstaat

Seehofer hat oft Durchsetzungswillen demonstriert, doch in der Regel auf starke Verbündete geachtet, die er zumindest in Mithaftung nehmen konnte. Er begann seine überregionale Karriere 1980 als in seiner Heimatstadt Ingolstadt direkt gewählter Bundestagsabgeordneter, 1989 wurde er Staatssekretär in Norbert Blüms Sozialministerium. Hatte er sich damals als Sozialpolitiker profiliert, schwenkte er nach seiner Berufung zum Gesundheitsminister 1992 schnell auf Helmut Kohls Umbau des Sozialsystems mit Leistungskürzungen und finanziellen Belastungen für Versicherte ein. Zehn Milliarden D-Mark sollten eingespart werden, und Seehofer setzte dieses Ziel mit SPD-Unterstützung durch.
In der zweiten Hälfte der 90er Jahre forcierte der Minister diesen Sparkurs. Die Selbstbeteiligung an den Krankheitskosten wurde erheblich ausgeweitet und zusätzlich an Beitragserhöhungen der Krankenkassen gebunden, ein »Notopfer« für die Krankenhäuser eingeführt. Sogar die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall stellte er in Frage. Mit der zunehmend unsozial agierenden Union und der FDP im Rücken brach er den Widerstand der SPD im Bundesrat durch juristische Tricksereien. Es war Seehofers Amtszeit, in der der Ausstieg aus der paritätischen Krankenversicherung begann und die Kranken zu Gunsten der Unternehmen über Gebühr belastet wurden. Insofern trug er wesentliche Mitschuld an der Wahlniederlage 1998.
Aber auch danach ging Horst Seehofer von diesem Kurs nicht ab. Mit dem neuen Sozialminister Walter Riester entwarf er das Modell zunehmend privater Altersvorsorge. Mit seiner Nachfolgerin Ulla Schmidt vereinbarte er 2003 eine »Gesundheitsreform«, die unter anderem die weitere Streichung oder Einschränkung von Leistungen (Sterbegeld, Brillen, Zahnersatz), die Einführung der Praxisgebühr und die Erhöhung von Zuzahlungen enthielt und somit vor allem die Handschrift der Union trug. Kein Wunder, dass er nach der Einigung mit Schmidt von einer »der schöneren Nächte« in seinem Leben sprach.
Dass Seehofer dennoch von Wirtschaftsliberalen gern als »Sozialpopulist«, als wieder erstandener »Blümerianer« apostrophiert wird, liegt vor allem an seinem Widerstand gegen die Merkelsche »Kopfpauschale« vor dem berüchtigten Leipziger Parteitag der CDU 2004. Sogar als Vizevorsitzender der Unions-Bundestagsfraktion trat er deshalb zurück. Doch auch dabei handelte der Sohn eines Bauarbeiters weniger aus sozialpolitischer Überzeugung denn als Pragmatiker mit einer feinen Antenne dafür, was den Menschen zumutbar ist und was nicht, wie man Mehrheiten für sich einnimmt, sie dabei aber vor allem im eigenen Sinne prägt. Seehofer hatte das neoliberale Wahlprogramm der Union schnell als »Sympathiekiller bei den Wählern« erkannt.

Heute so, morgen anders

Nur ein Jahr später, als Angela Merkel in Berlin mit der SPD die Große Koalition schmiedete, war er wieder da, denn Edmund Stoiber setzte ihn als Verbraucherminister durch – gegen den Wunsch der CDU-Chefin und jener Unionspolitiker, die das am Wähler gescheiterte Leipziger Programm doch noch zu realisieren versuchten. Stoiber wollte Seehofer, der für seinen Widerstand gegen den unsozialen Crashkurs der Unionsführung gerade mit 65,9 Prozent der Erststimmen im Wahlkreis Ingolstadt belohnt worden und sich als Vorsitzender des bayerischen Sozialverbandes VdK weiter zu profilierte, einbinden, zugleich aber auch Merkel als Widerpart entgegenstellen. Giftig konstatierte damals Guido Westerwelle: »Mit Seehofer hat die SPD jetzt neun statt acht Minister.«
Tatsächlich aber hat Seehofer den weiteren Sozialabbau unter Schwarz-Rot, also die zuvor von ihm bekämpfte Rente mit 67, die fortgesetzte Verteuerung des Krankseins, die Ablehnung von Mindestlöhnen, die Hartz IV-Ge- setze brav mitgetragen. Öffentlich gerierte er sich allerdings zunehmend als »Anwalt der kleinen Leute«. Zwischen Wort und Tat klafft eine große Lücke; selbst in der eigenen Partei wird ihm bescheinigt, er könne » heute das Gegenteil von dem sagen, was er morgen sagt«.
Es passt ins Bild dieses begnadeten Opportunisten, dass er sein Ministerium für Verbraucherschutz in ein solches für Landwirtschaft umbenannte. Seitdem bestimmen die Bauern-Lobbyisten wieder mit in seinem Ressort – zum Leidwesen der Öko-Bauern, Umweltschützer, Verbraucher.
Horst Seehofer trägt keine Scheuklappen, ist ideologisch nicht verbohrt und gesteht selbst Oskar Lafontaine zu, dass »nicht alles, was der sagt, falsch ist«. Damit erwarb er sich den Ruf eines Querdenkers, der sich nicht immer in die Parteidisziplin zwingen lässt – was ihn beim politischen Estab-lishment zum Unberechenbaren, in der Wählerschaft aber zum Sympathieträger machte und ihn nach Niederlagen stets wieder nach oben brachte.
Als »Stehaufmännchen« wird er gern bezeichnet, doch versimpelt das seine Leistung. Sein Auf und Ab entspringt wie beim Jo-Jo einem geschickten Spiel der Fäden; seine wechselnden Meinungen passen in dieses Bild. Als weitsichtiger Stratege hat er begriffen, dass letztlich der Zuspruch aus der Bevölkerung wichtiger für seine Karriere sein würde als Kungeleien in bayerischen Hinterzimmern. Er wartete gelassen auf seine Chance.
Die kam Anfang 2007, als in der CSU die Turbulenzen um Stoiber begannen. Von Anfang an gehörte er zum Bewerberkreis um höchste Ämter in Bayern; es war jedoch das Pech des dreifachen Vaters, gerade damals mit seinem Verhältnis zu einer jungen Bundestags-Bediensteten, aus dem ein weiteres Kind hervorging, eine offene Flanke für konservativen Kritiker innerhalb und außerhalb der CSU zu bieten.

Schwieriges Doppelamt

»Ich habe das Überleben gelernt«, sagte Seehofer, als sich abzeichnete, dass nicht politische Kompetenz, sondern das geschicktere Intrigenspiel über den Ausgang des Ringens mit Erwin Huber um den CSU-Vorsitz entscheiden würde. Auf dem Parteitag vor fast genau einem Jahr erreichte er dann nur 39,1 Prozent und musste Huber den Vortritt lassen. Aber seine 91,8 Prozent für den Vizeposten waren eine ideale Basis für das absehbare nächste Gefecht.
Dessen erste Runde hat er jetzt gewonnen und steht dicht davor, in eine Reihe mit Strauß und Stoiber zu rücken. Leicht wird es ihm im Doppelamt nicht werden, denn er hat nicht nur eine traumatisierte Parteibasis aufzurichten, eine uneinige Landtagsfraktion auf Kurs zu bringen, sich mit einem für die CSU bislang undenkbaren Koalitionspartner zu arrangieren und die in Frage gestellten bundespolitischen Privilegien der Christsozialen zu verteidigen. Er muss auch für vorzeigbare Ergebnisse bei der Europa- und der Bundestagswahl im nächsten Jahr sorgen. Es ist wohl nicht nur Seehofers typische Koketterie, wenn er von einem »leichten Bammel« spricht.
Die wenigsten Probleme dürfte Horst Seehofer wohl jetzt mit Angela Merkel haben. Sie braucht ihn, um ihre Kanzlerschaft zu verteidigen. Außerdem fährt sie inzwischen einen ähnlich pragmatischen Kurs wie ihr Landwirtschaftsminister. Wenn die radikalen Wirtschaftsliberalen in der CDU den Druck erhöhen, wird sie gern auf eine CSU verweisen, die eher Forderungen aus der anderen Richtung stellt. Überziehen wird Seehofer dabei nicht; dafür bürgt sein politischer Gestus, für den jüngst Peter Gauweiler, ein anderer bayerischer Querdenker, eine treffende Metapher fand: Seehofer sei so etwas wie eine »Rechts-Links-Mischung«.
Gedruckt in: Neues Deutschland vom 09.10.2008


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