(pri) CDU und CSU streiten in der Flüchtlingspolitik weniger um die Sache als darum, wer am Ende Recht behält. Auch hier stellt Angela Merkel zuerst die Machtfrage. Das Schicksal der Menschen gerät dabei aus dem Blick.
Es ist wie mit dem sprichwörtlichen heißen Eisen, das man lieber nicht anrühren sollte. Über die tiefen Differenzen innerhalb der eigenen Parteifamilie von CDU und CSU verliert Angela Merkel derzeit möglichst kein Wort. In ihrem Interview am vergangenen Sonntag bei Anne Will kam der Name Horst Seehofer nur beiläufig vor, die Meinungsunterschiede mit ihrer wahlkämpfenden Stellvertreterin Julia Klöckner degradierte sie zu einem Stäubchen auf ihrem Blazer; nach Erika Steinbachs neuer rassistischer Provokation traute sich die Moderatorin gar nicht erst zu fragen.
All dies zeigt zunächst, wie sehr sich die CDU-Vorsitzende in der Union derzeit in der Defensive befindet. Der Gegenwind vor allem aus deren bayerischem Ableger, aber auch aus den eigenen Reihen ist erheblich. Vor allem die Wahlkämpfer in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt sind angesichts unbefriedigender Umfragewerte höchst nervös und schwanken zwischen Distanzierung vom erklärten Merkel-Kurs des »Wir schaffen das« und der Nutzung ihres verbliebenen Ansehens. Rainer Haseloff ging am weitesten, als er ähnlich wie Seehofer beizeiten nach der Obergrenze für Flüchtlinge rief. Klöckner und der Stuttgarter Spitzenkandidat Guido Wolf lavieren, denn sie müssen mehr Rücksicht auf die vielen hochmotivierten Flüchtlingshelfer in ihren Ländern nehmen. Im Zweifel aber scheint ihnen Wahlkampfhilfe aus Bayern willkommener als aus Berlin.
Die Kanzlerin sah darin bislang kein sonderliches Problem, wusste sie sich doch im Ziel – der Zurückdrängung der Flüchtenden – mit ihren Widersachern einig; lediglich einen anderen Weg wollte sie einschlagen, einen Weg, der die EU und ihren Hauptprofiteur Deutschland schonen sollte – wie bisher auf Kosten anderer. Dafür hat sie lange geworben, mit begrenztem Erfolg im In- wie im Ausland. Jetzt jedoch, da dieser Kurs durch nationale Alleingänge zunehmend in Frage gestellt wird, hielt Angela Merkel offensichtlich ein Signal für erforderlich. Mit ihr, so die Botschaft des letzten Sonntags, wird es keine demonstrative Kursänderung geben. Entweder folgt man ihr, oder man muss sie stürzen.
Es ist eine Botschaft, die sich vor allem an Horst Seehofer richtet. Sie hat den CSU-Chef lange genug studiert, um zu wissen, dass Konsequenz seine Sache nicht ist, dass er eher zögert und zaudert, wenn er das Risiko nicht überschauen kann. Und das Risiko ist groß. Schon hat er sich – mit angekündigter Verfassungsklage und Vorwurf einer »Herrschaft des Unrechts« – so weit aus dem Fenster gelehnt, dass er kaum noch zurück kann. Er steht in der Öffentlichkeit als Störenfried da und bekommt von Merkel dazu noch eine wenig schmeichelhafte Belehrung über Politik, die zudem ein berühmtes Marx-Zitat variiert: »Man ist nicht Politiker dafür, dass man die Welt beschreibt und sie katastrophal findet.« Vielmehr habe man die Aufgabe, »aus schwierigen Entwicklungen etwas Vernünftiges zu machen«. Gaben noch Anfang Februar laut infratest dimap fast ebenso viele an, mit Seehofers Politik zufrieden zu sein (45 Prozent) wie mit der der Kanzlerin (46), so ging die Schere nun mit 54 zu 38 Prozent zugunsten Merkels wieder auseinander.
Die CDU-Vorsitzende hat ohne Zweifel die besseren Karten. Sie weiß, dass es personell zu ihr vor der nächsten Bundestagswahl kaum eine Alternative gibt und dass paradoxerweise ausgerechnet der Aufschwung der AfD und ihr Einzug in drei Landtage der CDU trotz eigener Verluste nutzen könnte, weil dadurch Mehrheiten gegen sie unmöglich würden. Dazu ist sie seit September 2015 immer näher an die Positionen der CSU herangerückt, so dass sich der Zwist der Schwesterparteien nur noch als eine Art Zickenkrieg über den »besseren« Weg darstellt.
Beide sind sich einig darin, das Flüchtlingsproblem durch konsequente Abschottung lösen zu wollen. Merkels Festhalten an offenen Grenzen zeigt erst im Zusammenhang mit rigider Ablehnung von Asylbewerbern und der Verlagerung der Abschottung an die EU-Außengrenzen, auf die Türkei und Griechenland, seinen wahren Sinn. Eine wirklich alternative Politik, die Integration in den Mittelpunkt stellt und sich mit einem großen humanitären Projekt der Zivilgesellschaft mit ihrer Hilfsbereitschaft zugesellt, ist nicht in Sicht; vielmehr stoßen diesbezügliche Vorschläge erst der Linkspartei und partiell der Grünen, nun auch des SPD-Vorsitzenden unionsübergreifend auf schroffe Ablehnung.
Merkel wie Seehofer suchen die Lösung auf Kosten der Flüchtenden wie der Länder an der EU-Peripherie. Dass die südöstlichen Randstaaten – wegen der unsozialen Brüsseler Politik nach wie vor die Armenhäuser des Kontinents – dazu gar nicht in der Lage sind, interessiert wenig. Es stört zwar, wenn deren Not jetzt an der griechisch-mazedonischen Grenze Bilder produziert, die an Mauer und Stacheldraht im Kalten Krieg erinnern, aber auch Angela Merkel ist offensichtlich bereit, dies im Interesse des Machterhalts als Kollateralschaden hinzunehmen.
(Veröffentlicht in: »Neues Deutschland« vom 02.03.2016)